Indische Mythen

Das Mahabharata zählt neben den Veden zu den bedeutendsten Überlieferungen des Hinduismus. Es ist ein Heldenepos, das sich mit dem Kampf um Macht und der Erhaltung des Rechtes auseinandersetzt. Erzählt wird die Geschichte eines Königshauses, das durch einen unrechtmäßigen Thronanspruch entzwei gerissen wird. Während der eigentliche König mit seiner Familie in der Verbannung leben muss, wo ihre Herkunft nicht preisgeben dürfen, bleibt er in seinem Handeln loyal, gerecht und weise. Sein Widersacher hingegen, der auf dem Königsstuhl sitzt, wird durch seinen Neid und seine Furcht  immer hasserfüllter.  In der entscheidenden Schlacht ist schließlich der wahre König siegreich, der Gerechtigkeit ist nach langen Prüfen genüge getan. Denn das ist es, was vermittelt werden soll, nicht der persönliche Erfolg eines Einzelnen, sondern die Erfüllung eines gesellschaftlichen, göttlichen Gesetzes.

Im folgenden will ich hier aber nicht das Mahabharata wiedergeben, sondern nur einige Randgeschichten, die das Werk mit ihren Lehren  durchdringen und zu jener Weisheit verdichten,  für die Indiens religiöse Philosophie bekannt ist.

Mirtya die Todesgöttin

Als der Urvater Brahman die Lebewesen erschaffen hatte, vermehrten sich diese unablässig. Die Welten wurden über und über voll, und die Erde beklagte sich bei Brahman, dass sie die Last nicht mehr tragen könne. Da dachte der Urvater darüber nach, wie er die Anzahl der Wesen vermindern könne. Es fiel ihm aber kein Mittel ein, worüber er in einen mächtigen Zorn geriet. Aus allen Poren seines Leibes drang das Feuer seines Zorn hervor. Flammen schlugen über der Welt zusammen und drohten alles zu vernichten. Gott Siva aber empfand Mitleid mit den Wesen, und auf seine Fürbitte hin, zog Brahman das aus seinem Zorn entstandene Feuer wieder in sich zurück. Stattdessen ordnete er das Werden und Vergehen der Wesen an. Dabei kam aus den Poren seines Leibes eine dunkelhäutige, in ein dunkelrotes Gewand gekleidete, schön geschmückte Frau. Sie wollte nach Süden ihres Weges gehen, aber Brahman rief sie an und sprach zu ihr: "Mirtya, töte die Wesen dieser Welt! Du bist aus den Gedanken meiner Weltvernichtung getreten und aus meinem Zorn hervorgekommen, darum vernichte die Geschöpfe, die Toren und die Weisen, alle insgesamt!"

Da weinte Mirtya, die lotosbekränzte Göttin Tod laut. Der Herr der Geschöpfe aber fing ihre Tränen in seiner Hand auf. Sie flehte ihn an, ihr das grausame Amt zu erlassen:" Verehrung sei dir, Herr der Wesen, sei mir gnädig, dass ich nicht unschuldige Menschen -Kinder, Greise und Menschen im besten Lebensalter hinwegraffen muss: geliebte Kinder, traute Freunde, Brüder, Mütter und Väter! Davor fürchtet es mir. Und der Unglücklichen Tränen fürchte ich, deren Nass mich brennen wird in alle Ewigkeit."

Aber ein Beschluss des Brahman ist unabänderlich, so musste sie sich fügen. Doch aus Gnade gewährte der Urvater, dass Habsucht, Zorn, Neid, Eifersucht, Hass, Verblendung und Schamlosigkeit die Menschen verderben und, dass die vergossenen Tränen, die er in seiner Hand hält, zu Krankheiten werden, welche die Geschöpfe töten. So trifft sie keine Schuld an dem Tod. Im Gegenteil - die Wesen  gehen an ihren eigenen Sünden unter. Sie aber die Göttin des Todes ist die Gerechtigkeit selbst und die Herrin der Gerechtigkeit, indem sie frei von Liebe und Hass, die Lebewesen dahinrafft.

 

Die Parabel vom Mann im Brunnen

Ein Brahmane verirrte sich in einem dichten, von Raubtieren erfüllten Wald. In höchster Angst rennt er hin und her und späht vergeblich nach einem Ausweg. Da erkennt er, dass der schreckliche Wald mit Fallstricken umgeben ist und von einem fürchterlichen Weibe mit beiden Armen umspannt wird. Große schreckliche fünfköpfige Drachen, die wie Felsen bis zum Himmel empor ragen, umgeben diesen großen Wald. Und mitten in diesem Walde befindet sich, von Gestrüpp und Schlinggewächsen überdeckt, ein Brunnen. Der Brahmane fällt hinein und bleibt am Geäst einer Liane hängen. Wie eine große Frucht hängt er daran, mit dem Kopf nach unten. Und wieder droht eine andere, noch größere Gefahr. Denn mitten im Brunnen erblickte er einen gewaltigen Drachen, und an des Brunnens Rande sah er einen schwarzen, sechsmäuligen und zwölffüßigen Riesenelefanten langsam herankommen. In den Zweigen des Baumes aber, die den Brunnen bedeckten, schwärmten allerlei Bienen und bereiteten Honig. Der Honig träufelte herab, und begierig trinkt der Brahmane davon. Denn er war des Daseins nicht überdrüssig, und gab die Lebenshoffnung nicht auf, obwohl schwarze und weiße Mäuse den Baum benagten.

- Der Mann, so erklärte Vidura, dem vom Mitleid ergriffenen König das Gleichnis- ist der Samsara, das Dasein in der Welt: Die Raubtiere sind die Krankheiten, das grässliche Riesenweib ist das Alter, der Brunnen ist der Leib der Wesen, der Drache auf dem Grund des Brunnen ist die Zeit, das Schlinggewächs in dem der Mann hängen bleibt ist die Hoffnung, der sechsmäulige, zwölffüßige Elefant ist das Jahr mit den sechs Jahreszeiten, die Mäuse aber sind die Tage und Nächte, und die Honigtropfen sind die Sinnesgenüsse. 

 

Die Parabel vom Gespräch zwischen dem Ozean und den Flüssen

Der Ozean fragt die Flüsse, wie es komme, dass sie die starken und mächtigen Bäume entwurzeln und zu ihm bringen, während sie nie das dünne und schwache Schilfrohr mit sich führten. Die Ganga antwortete ihm :" Es stehen die Bäume, jeder an seinem Ort, festgewurzelt an einer Stelle. Weil sie der Strömung sich widersetzten, müssen sie ihrer Stätte weichen. Nicht so das Rohr. Das beugt sicht, sobald es die Strömung herankommen sieht, und wenn des Sturmes Gewalt vergangen ist, richtet es sich wieder auf.

 

Die Geschichte von der Schlange, dem Tot, dem Schicksal und der Tat

Gautami, eine alte und fromme Brahmanenfrau, findet eines Tages ihren Sohn tot. Eine Schlange hatte ihn gebissen. Der grimmige Jäger Arjunaka bringt die Schlange an einem Strick herbei geschleppt und fragt Gautami, wie er die böse Mörderin bestrafen solle. Gautami erwidert, durch das Töten der Schlange, werde ihr geliebter Sohn auch nicht wieder lebendig, und auch sonst würde sie nichts Gutes daraus entstehen; durch die Tötung eines lebenden Wesens lade man nur Schuld auf sich. Der Jäger wendet ein, dass es gut sei, Feinde zu töten, wie ja auch Indra den Vritra getötet habe. Aber Gautami kann nichts Gutes darin erkennen, dass man Feinde quält und tötet. Die Schlange sei ja gar nicht schuld an dem Tod des Knaben. Mrityu, der Tod selbst, sei Schuld am Tod des Knaben. Während der Jäger und Gautami heftig darüber streiten, ob die Schlange schuldig ist, erscheint Mrityu selbst und erklärt, dass weder die Schlange, noch sie am Tod schuld seien. Denn alles was geschieht, geschieht durch Kala. Wie die Wolken vom Himmel hin und her getrieben werden, so steht auch der Tod unter der Botmäßigkeit des Schicksals. Während der Jäger auf dem Standpunkt beharrt, dass sowohl die Schlange, als auch Mrityu den Tod verschuldet haben, erscheint Kala, das Schicksal selbst und erklärt:" Weder die Schlange, noch der Tod und auch nicht ich als das Schicksal sind schuld am sterben irgendeines Wesens, o Jäger, wir sind nicht die Verursacher. Die Tat, Karman, ist es welche uns dazu getrieben hat; keine andere Ursache des Untergangs gibt es, nur durch die eigene Tat ward er getötet..

Wie der Töpfer aus Tonklumpen alles formt, was er nur will, so erlangt der Mensch nur das Geschick, das er durch seine Taten bereitet hat. Wie Licht und Schatten stets aufs Engste miteinander verbunden sind, so sind auch die Tat und der Täter eng verbunden, durch alles, was er selbst getan." Da tröstete sich auch Gautami, das der Tod ihres Sohnes die notwendige Folge seines und ihres Karman gewesen seien..

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Wie Rauch vom Wind getragen wird, so ist das Recht von der macht abhängig; selbst machtlos, hängt es sich an eine Macht, wie eine Blätterranke an den Baum.

 

Dann ist es Zeit zum Kampf, wenn ohne Kampf der Tod sicher, mit Kampf aber nur das Leben in Gefahr ist.

 

Nur einen Freund haben wir, der uns in den Tod folgt: die Tugend. Alles andere fällt der Vernichtung anheim.

 

Die da denken, "es gibt kein Recht" und den Gerechten verspotten, die da an keine Gerechtigkeit glauben, werden zweifellos zugrunde gehen.

 

Der Weise klagt nicht um die Lebenden und nicht um die Toden. Niemals hat es eine Zeit gegeben, wo ich nicht war, niemals eine Zeit, wo du nicht warst, niemals eine Zeit, wo diese Könige hier nicht waren; und keiner von uns wird jemals aufhören, zu sein.

 

Und wärst du auch der Sündigste unter allen Sündern, mit dem Boot der Erkenntnis wirst du über alle Sünden hinwegkommen. Wie das Feuer, sobald es entflammt ist, das Brennholz in Asche verwandelt, so verwandelt das Feuer der Erkenntnis alle Handlungen zu Asche.

 

Die Zeit bringt die Geschöpfe zur Reife, die Zeit rafft die Geschöpfe hinweg, die Zeit wacht, wenn alle anderen Schlafen, dem Lauf der Zeit kann sich keiner entziehen.

 

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